Samstag, 24. Januar 2009
 
Grüne sind nicht durchgeknallt PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von Dieter Brosz   
Mittwoch, 18. Juli 2007

Der Bildungssprecher der Grünen entgegnet in Form eines Briefes an die Redaktion zwei kritischen Kommentaren zum verpflichtenden Vorschuljahr, wie es die Grünen gefordert haben.

Lieber Bernhard Redl!

Da ich letzte Woche mit Grippe im Bett gelegen bin, kommt meine Antwort mit Verspätung.

Wer Eure Beiträge liest, muss wohl zum Schluss kommen, dass die Grünen völlig durchgeknallt sind. Man könnte glauben, ich hätte vorgeschlagen, dass Dreijährige schön geschlichtet - am besten gleich in Kindergartenuniform - zum Zwangsunterricht antreten müssen. Vorne steht dann ein Lehrer, der ihnen mit Frontalunterricht zeigt, wo der Wirtschaftsbartl den Most im Kapitalismus holt. Leistungsorientierung und Arbeitsmarkt, das wollen demnach die Grünen für Dreijährige. Mit Verlaub, ich bin ja nirgends ang’rennt.

Bemerkenswert finde ich an beiden Beiträgen, dass das Wort Chancengleichheit oder zumindest Chancenangleichung nicht einmal im Ansatz vorkommt. Das ist nämlich der Kern meines Vorschlags. Ich stehe dazu, dass ich mich mit bildungswissenschaftlichen Erkenntnissen gründlich auseinandersetze. Die PISA-Studie - die Auseinandersetzungen mit den konkreten Fragestellungen kann ich nur empfehlen, da wird nämlich nicht simples Faktenwissen geprüft - war ein Meilenstein. Johann Bacher von der Uni Linz hat die unterschiedlichen Leseergebnisse beim PISA-Test mit der Dauer des Kindergartenbesuchs in Beziehung gesetzt und Erstaunliches herausgefunden. Kinder, die einen Kindergarten länger als ein Jahr besucht haben, weisen gegenüber den anderen selbst im Alter von 15 einen durchschnittlichen Vorteil von etwa einem Schuljahr auf. Ich finde, dass sinnverstehendes Lesen, auch das kritische Hinterfragen von Texten wichtig und notwendig ist.

Mehr als 90% der Fünf- bis Sechsjährigen besuchen einen Kindergarten. Bei den restlichen 10% sind Kinder mit Migrationshintergrund und Kinder aus bildungsfernen Schichten stark überrepräsentiert. Meine Forderung nach einer verpflichtenden und kostenlosen Kindergartenkernzeit von zwölf Wochenstunden - also drei Halbtagen - für die Drei- bis Sechsjährigen zielt genau darauf ab, die Bildungschancen dieser Kinder zu verbessern.

Das Konzept bedroht die Reformpädagogik selbstverständlich nicht, weil nur eine pädagogische Betreuung nachgewiesen werden muss.

Da ich weiß, dass die Länge der Beiträge die Lesefreudigkeit eher reduziert, möchte ich nicht im Detail auf die einzelnen Punkte eingehen. Ich bin aber überrascht, wie negativ der Begriff "Lernen" in den Beiträgen besetzt wird. Bernhard Redl möchte, dass im Kindergarten gespielt und nicht gelernt wird. Das geht an den Realitäten doch weit vorbei. Wenn Kinder in den Kindergarten kommen, haben sie ihre Muttersprache und viele andere Dinge erlernt. Kinder lernen in diesem Alter wohl am intensivsten, in reformpädagogischen Kindergärten noch intensiver. Niemand bei den Grünen will eine Verschulung des Kindergartens. Bei aller Schwäche des österreichischen Schulsystems, in dem selbsttätiges Lernen viel zu kurz kommt, soziales Lernen eine untergeordnete Rolle spielt, sollte auch Platz für ein Mindestmaß an Allgemeinbildung sein. Sinnverstehendes Lesen, mathematische und naturwissenschaftliche Grundkenntnisse und Problemlösungsfähigkeiten sind ein wichtiger Teil schulischer Bildung. Woher soll Kritikfähigkeit kommen, wenn die Basis dafür nicht gelegt wird?

Liebe Grüße

Dieter Brosz

Dieter Brosz ist Bildungs-, Sport- und ORF-Sprecher, Abgeordneter zum Nationalrat
Geschäftsführender Parlamentarier
Grüner Klub im Parlament
www.gruene.at

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